Übertriebene Mieterhöhungen, Besitzerwechsel, Spekulantenstress – das bleibt Bewohnern von Genossenschaftswohnungen erspart. Genossenschaften bieten das ideale Modell für teure Großstädte.
Zwei Strandkörbe stehen an der Wand, Liegestühle warten zusammengeklappt auf ihren letzten Einsatz vor der kalten Jahreszeit: Die Terrasse im vierten Stock ist der Stolz der Bewohner der Johann-Fichte-Straße in München Schwabing. Sie wird gerade winterfest gemacht. Von hier reicht der Blick an sonnigen Tagen bis zum Englischen Garten und noch darüber hinaus. Eine bepflanzte Laube, lädt zum Verweilen ein. „Im Sommer ist die Terrasse der Treffpunkt des ganzen Hauses,“ sagt Hanne Kamali. eine Bewohnerin. Hier trinkt man gerne auch ein Glas Wein mit den Nachbarn.
Sogar ein Kräuterbeet hat einer der Bewohner angelegt, an dem sich jeder bedienen darf. Für die Pflege ist Johannes Maier zuständig. „Das ist meine Leidenschaft“, betont der 70-jährige Rentner. Er genießt wie die anderen Hausbewohner diese ganz besondere Schwabinger Hausgemeinschaft.
Genossenschaftswohnen: soziales Miteinander
Vor zehn Jahren hatten die heutigen Nachbarn nur eines gemeinsam: Die Mitgliedschaft in der Münchner Wogeno. Einer Wohngenossenschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Münchnern günstiges Wohnen zu ermöglichen. Und aber auch Wert auf das soziale Miteinander legt. Hier gilt das Prinzip der Selbstverwaltung.
Die Bewohner planen mit – ganz gleich ob es sich um einen Umbau oder einen Neubau handelt. So wurden auch die künftigen Bewohner der Johann-Fichte-Straße in die Planungs- und Bauphase einbezogen. Sie bestimmen über die Gestaltung und Nutzung der Gemeinschaftsräume und sorgen für die Instandhaltung der Häuser.
„Das zwingt uns, vieles gemeinsam zu tun“, erklärt Haussprecher Johannes Maier. In der Johann-Fichte-Straße wird die Hausarbeit geteilt. Es bestehe zwar kein Zwang, dennoch hat fast jeder einen Job: vom Glühbirnenwechseln bis zum Warten der Heizung. Das spart viel Geld.
Auch in ihrer Liebe zu Pflanzen scheinen sich die Bewohner einig. Überall grünt es, in den dekorierten Laubengängen, im Hof und auf den wild bewachsenen Balkonen. Eine Art Eigendynamik, wie Hanne Kamali, beobachtet: „Alle machen mit. Jeder, der einzieht, lässt sich anstecken.“
Wohngenossenschaft: Lebenslanges Wohnrecht garantiert
Dementsprechend unkompliziert findet Hanne Kamali das Leben in der „Jofi“, wie die Bewohner ihr Haus liebevoll nennen. Mit vielen Nachbarn verbindet sie mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis.
So auch mit Ruth und Dieter Liebig. Die beiden waren die ersten, die Ende 2000 eingezogen sind. „Damals hatten wir eine regelrechte Wohnungsodysee hinter uns“, erzählt die 58-jährige Ruth Liebig. Seit über zwanzig Jahren lebt sie mit ihrem Mann in München. Fünf oder sechs mal sind sie in dieser Zeit umgezogen. „deshalb haben wir etwas auf Dauer gesucht.“
Wohnprojekt Johann-Fichte-Straße
Das Wohnprojekt in der Johann-Fichte-Straße kam für die Liebigs, Wogeno-Mitglieder der ersten Stunde, zum richtigen Zeitpunkt. Denn das Genossenschaftsmodell garantiert lebenslanges Wohnrecht. „Wir sehnten uns nach Sicherheit“, beschreibt Ruth Liebig ihre damaligen Überlegungen. „Uns war das Gefühl wichtig: Hier kann uns nichts mehr passieren.
Und tatsächlich: Das Haus in der Jofi ist ein Wohnort fürs ganze Leben. Älter zu werden, ist hier kein Problem. Seit jeher ist das Haus barrierefrei – mit Aufzug, rollstuhlgerechten Türen und Lichtschaltern. Drei Wohnungen sind sogar behindertengerecht, schließlich wurde das Haus in Kooperation mit dem Club Behinderter und ihrer Freunde errichtet.
Der Verein organisiert seit einigen Jahren auch eine Nachbarschaftshilfe. Wer Unterstützung braucht, bucht einen Helfer, der mit ihm zum Friseur oder zum Arzt geht. Oder im Haushalt hilft. Auch die Nachbarn sind füreinander da. Es findet sich fast immer jemand, der sich um den tropfenden Wasserhahn oder eine kaputte Heizung kümmert. Zur Belohnung gibt es dann ein Abendessen oder eine Flasche Wein für die Dachterrasse.
Anna Wieder